Von Catrine Hellberg
In der Vorstellung des übrigen Europas besteht Skandinavien aus schnuckeligen, bunt angemalten Holzhäusern, unendlichen Landschaften, monatelangem pechschwarzem Dunkel aber auch Licht rund um die Uhr, und dem Leben im Freien. Wie die Norweger sagen: „Ut på tur, aldri sur” – „wir gehen spazieren und sind nie sauer“. Die Menschen scheinen freundlich zu sein, aber sie reden nicht so viel. Skandinavien ist dies alles und natürlich so viel mehr.
Aber was denken eigentlich die Skandinavier über ihre Nachbarn? Und über sich selbst? Unzählige Stereotypen, Klischees und Witze untereinander verraten viel darüber, und das wollen wir uns einmal näher anschauen.
Wenn man wirklich verallgemeinern soll, denken die Nordeuropäer, dass sie die Erfinder der sozialen Wohlstandsgesellschaft sind. Die Skandinavier lieben den Frieden, nehmen in Kriegen keinen Teil und hier gibt es keine Terroristen. Alles ist außerordentlich wohl organisiert und man hat trotzdem große Freiheit – „Freiheit unter Verantwortlichkeit“, wie man es gerne benennt. Die Demokratie ist viel entwickelter als im Süden und Westen, und die Freiheit so groß, dass fast alle Einwohner Mitglieder mehrerer Verbände und Organisationen sind. In Dänemark redet man scherzhaft über Skandinavien als eine Mini-Europa: Die Schweden sind die Deutschen, die Finnen die Russen, die Norweger die Engländer und die Dänen selbst sehen sich als die Italiener des Nordens. Wie viele Wahrheit darin liegen, kann man sich natürlich fragen, aber Ähnlichkeiten gibt es unbedingt.
Wie ist es dann in den einzelnen Ländern und was denken andere Skandinavier?
In Schweden ist alles geregelt. Nirgendwo steht man so ordentlich in Schlange wie hier. Fast alles ist verboten, besonders alkoholische Getränke, die nur im staatlichen „Systembolaget“ verkauft werden. Die blonden Nordeuropäer sind oft einsilbig, und man weiß nicht immer, ob sie unhöflich, scheu oder doof sind. Es scheint oft, als ob sie nicht so ganz froh seien. Die Lebensfreude scheint sich auf einige Wochen im Jahr zu bündeln. Im Sommer, wenn die Tage unendlich sind und Leute ihre fünf Wochen Urlaub haben. Grillen und Wein in der Sonne machen offenbar das Dasein lebenswert. Das Positive ist, dass Schweden arbeitsfähig sind, und dass ihre Produkte immer hohe Qualität halten. Nicht nur in Skandinavien, sondern heutzutage auch in Europa, ist die schwedische fika berühmt worden. Hier geht es nicht nur darum einen zu Kaffee zu trinken – es ist ein Ereignis und ein kleines Feiern. Gebäck soll dabei sein. Wer am Arbeitsplatz in Schweden nicht zur fika mitkommt, wird als etwas komisch betrachtet.
Bei Norwegern denkt man spontan an Auszeit und ein grenzloses Nationalbewusstsein. Sie haben auch Grund dazu, mit all diesem Öl und den ewigen Erfolgen im Wintersport. Besonders die Schweden sind im Geheimen ein bisschen eifersüchtig, obwohl sie es nie zugeben würden. Der typische Norweger ist hochgewachsen, breitschulterig und muskulös. In seinem Heimatland ist alles teuer, sogar so teuer, dass er gerne anderswo einkauft. Norweger sind immer draußen, fahren Ski und sind jederzeit gut gelaunt – alle Probleme können ja trotz allem mit einer tur zu Fuß oder Ski mit matpakke gelöst werden. In der Lust an Verboten ähneln die Norweger den Schweden, aber das ist laut der beiden Nationalitäten auch das Einzige. Den Schweden klingt die norwegische Sprache ein bisschen wie ein Scherz, weswegen man ihnen eigentlich nie böse sein kann. Die Rivalität unter den beiden Ländern ist seit langem wohlbekannt und die Witze zahllos. Man macht sich immer über den Nachbar lustig und Neid spielt eine große Rolle:
Was hat der Schwede, was der Norweger nicht hat?
Gute Nachbarn.
Die These mit den Dänen als den Italienern Skandinaviens ist gar nicht weit von der Wahrheit entfernt. Das Land des smørrebrød liegt ja auf dem Kontinent, und viele sind sicher der Meinung, dass zur kleinsten Nation Skandinavien das Internationale und „das Wilde und Gefährliche“ gehört. Besonders in Kopenhagen ist ja alles erlaubt, was mit Sex und Drogen zu tun hat. Oder, erlaubt und erlaubt, man macht es einfach. Dänemark wird nämlich als die störrische kleine Schwester unter der skandinavischen Geschwisterfamilie betrachtet und soll sich gerne und oft querstellen. In Bars und Bodegas, die kleiner als 40 Quadratmeter sind, ist Rauchen immer noch erlaubt. Je kleiner, desto rauchiger, denken die Dänen. Die Dänen, die mit einem pølse in einer Hand und ein Bier in der anderen immer Spaß haben wollen. Nicht nur Spaß, sondern hygge – ein Begriff, der fast genauso schwer zu übersetzen ist wie das Schwedische lagom. Auch wenn es um die Sprache geht, sind Dänen die Störenfriede. Die Sprachen Dänisch, Norwegisch und Schwedisch haben eigentlich so viel gemeinsam, dass sie fast als Dialekte könnten angesehen werden. Beim Lesen haben Skandinavier keine oder nur wenige Probleme mit Dänisch, aber wenn die kontinentalen Nordeuropäer zu sprechen beginnen, geht es wirklich schief. Es klingt ja, als hätten sie eine heiße Kartoffel im Mund! Ein schwacher Trost ist, dass Dänen keine anderen Skandinavier so gut verstehen können. Außer den Südschweden in Schonen: die Brüder, die eigentlich immer noch zu Dänemark gehören möchten.
Zu Dänemark gehören auch die Färöer Inseln, oder Schafsinseln – dank der 700.000 Schafe, die hier zusammen mit etwa 50.000 Menschen leben. Auch anderen Skandinavier ist die Inselgruppe mit 18 kargen Inseln etwas sehr exotisch. Manche denken vielleicht an den historischen 1:0-Sieg über Österreich in der Qualifikation für die Fußball-EM 1992. Trotz innerer Selbstverwaltung geht es in der färöischen Politik seit langem um den Wunsch nach nationaler und wirtschaftlicher Unabhängigkeit vom großen Bruder Dänemark. Man hat sein eigenes Parlament, eine eigene Flagge und Sprache (wenn man Dänisch unbegreiflich findet, wird es hier nicht einfacher, milde ausgedrückt …) sowie eine Fußball-Nationalmannschaft und sogar eine eigene Währung. Die Färöer sind gut drauf und genießen einen hohen Lebensstandard, vor allem dank der Fischerei. „Die einzigen Dinge, die wir hier vermissen, sind Mücken, Schlangen und Arbeitslosigkeit.“ Die Witze über die Färöer handeln oft von schlechtem Wetter, und ok, wer Strandurlaub möchte, ist hier falsch. Obwohl die Einwohner selbst behaupten, dass es im Sommer auch warm wird, soll man das nicht für bare Münze nehmen. Die Inselgruppe ist somit ein Reiseziel mit Zukunft: Wenn die kontinentalen Sommer immer heißer werden, kann man sich hier abkühlen.
Das Land der tausenden Seen steht manchmal etwas in den Schatten seiner oft lauteren und berühmteren Nachbarn. Vielleicht hat es mit der Geographie zu tun, oder dass die Sprache nicht einmal zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehört. In Finnland tragen anscheinend alle Menschen Messer, was auch ein bisschen abschreckend sein kann. Wenn ein Finne überhaupt redet, sagt er perkele oder ein Wort mit unglaublich vielen Konsonanten. Der Mythos des zurückhaltenden Finnen ist auch im Heimatland noch immer gegenwärtig, was natürlich zu Witzen einlädt: Ein introvertierter Finne schaut auf seine eigenen Schuhe, wenn er mit dir spricht – ein extrovertierter schaut auf deine Schuhe. Wortkargheit und Schüchternheit sind einige der Merkmale, Stärke und Ausdauer ein paar andere. Kein anderer Skandinavier kann so viele harte Sachen vertragen, in der ganzen Welt sind vielleicht nur die Russen überlegen. Winter ist es in Finnland erst, wenn die Temperaturen gegen minus 20 Grad sinken; dann braucht man sogar eine Jacke. Sollte es trotzdem kühl werden, haben sie ja alle diese Saunen – etwa 3 Millionen auf 5,5 Millionen Einwohner. Finnischer wird es nicht. Obwohl Frauen normalerweise nicht mehr in der Sauna ihre Kinder gebären und man tatsächlich einander nicht mit den Birkenzweigen schlägt, ist die Saunakultur heilig. So heilig, dass sogar der ruhigste Finne sie auf Tod und Leben verteidigen würde.
Wenn Finnland in Skandinavien schon etwas unter der Wahrnehmungsschwelle liegt, erinnern sich die meisten Menschen an Island erst wenn ein Vulkanausbruch den Flugverkehr in Europa verhindert, oder wenn die Fans der Fußballmannschaft mit ihrem eigenen Vulkan die Tribüne übernehmen. Die Insel im hohen Norden ist irgendwie ein Märchenland, mit ihrem Feuer, Eis, den Elfen und Trollen. Elfenglaube, das klingt wie ein Scherz, ist aber wirklich ernstzunehmen. Überall in Island findet man kleine Häuschen, die extra für die übernatürlichen Wesen gebaut wurden. Auch das isländische Bauministerium geht bei Bauvorhaben vorsichtig vor! Die karge Natur hier ist so eigenartig, dass Forscherstudenten aus aller Welt die Insel oft besuchen. Die Witze über Island gehen oft um diese Landschaft und die Entlegenheit, sowie um Eigentümlichkeiten wie der Genuss ganzer Schafsköpfe und fermentierter Meerestiere (nur Mut!). Dem Ruf hilft es nicht sehr, dass es eine App gibt, womit die Isländer vor einem Date ausschließen können, dass die andere Person einen nahen Verwandten ist. Inzucht wird vermieden, und alles ist in Ordnung. Zumindest bis zur nächsten Naturkatastrophe. Die Isländer selbst kümmern sich allerdings nicht so viel darum, denn sie teilen das ruhige, stabile und starke Temperament mit einem der zahlreichsten Einwohner des Landes: dem Islandpferd.
Größere Ähnlichkeiten als Unterschiede
Zur Geschichte Skandinaviens gehören Machtkämpfe, Kriege, Unionen und deren Zersplitterungen, sowie Kleinbruderkomplexe und Manieren des großen Bruders. Dennoch gibt es natürlich viele Ähnlichkeiten, und die Sprachen – der zahllosen Witze ungeachtet – steuern zur Zusammengehörigkeit bei. Viele Schweden arbeiten in Norwegen, und die Öresundbrücke hat Schweden und Dänemark einander noch näher gebracht. Die Länder Skandinaviens kriegen oft Spitzenplätze im Doing-Business-Index und sind laut World Happiness Report die glücklichsten Menschen der Welt. Was genau macht die nordischen Bürger so außerordentlich zufrieden mit ihrem Leben? Der skandinavische Winter ist trotzdem unvergleichlich lang, dunkel und kalt. Allerdings haben Studien gezeigt, dass Wetter normalerweise keinen großen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit der Menschen hat. Glücklicherweise. Der Grund des skandinavischen Glücks beruht vermutlich auf den verlässlichen und umfangreichen Sozialleistungen, dem hohen Lebensstandard, der geringen Korruption und einer gut funktionierenden Demokratie mit einem hohen Maß an Autonomie und Freiheit. Einige Bürger würden vielleicht Einwände erheben, aber wenn man mit großen Teilen der Welt vergleicht, ist Skandinavien ein wunderschöner Platz, um sich aufzuhalten.
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