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Alexander Roth

Roy Andersson - Über die Unendlichkeit

Aktualisiert: 9. Dez. 2020


Über die Unendlichkeit

Im Herbst erschien Roy Anderssons preisgekrönter Film Über die Unendlichkeit endlich in Deutschland. Skandinavia,de-Redakteur Alexander Roth stellt ihn vor.


Aus den grauen Wolken fliegen ein Mann und eine Frau eng umschlungen über eine zerstörte Stadt. Das einzige Gebäude, das nicht in Ruinen liegt, ist ein Dom, die Stadt ist offenbar Köln. Eine Erzählerin sagt: "Ich sah ein Liebespaar, zwei Liebende, die schwebten über einer Stadt, die bekannt war für ihre Schönheit, aber jetzt in Ruinen lag." So beginnt der schwedische Regisseur Roy Anderssons seinen sechsten Film. Die erste Szene zeigt das Thema des Films. Schönheit und Ruinen, Liebe und Krieg, Fantasie und Wirklichkeit.


Der Film besteht aus einzelnen Szenen, Vignetten, die nicht durch eine Geschichte verbunden sind, aber durch Roy Anderssons Gedanken über das Leben. Roy Anderssons Filme handeln von Alltagsmenschen mit Alltagsproblemen: Ein Pfarrer hat seinen Glauben verloren, ein Mann hat Eifersucht auf einen Kindheitsfreund, eine Frau liebt Champagner, ein Junger Mann, der nie verliebt gewesen ist. Das Leben ist kompliziert, es ist sehr seltsam, manchmal komisch und sehr oft ist es melancholisch - das ist der Ausganspunkt der Filme Roy Anderssons. Sie handeln - von der menschlichen Komödie.

Roy Andersson ist einer der Regisseure, deren Handschrift man in jedem einzelnen Bild erkennt. Seine Figuren sind Karikaturen der schwedischen Gesellschaft und des schwedischen Alltagslebens. Andersson dreht seine Szene ohne Kamerabewegungen und Schnitt. Die statistischen Szenen ähneln sich wie kleine Sketche über das Alltagsleben und enden mit einer lakonischen Pointe. Seine Filmwelt ist realistisch, erkennbar aber zugleich fremd und merkwürdig. Seine Farben sind meistens Grau, Braun, Beige und die Schauspieler sind irgendwie empfindungslos.


Andersson ist ein Arbeiterkind, er wurde 1943 in Göteborg geboren. Kultur war ein Mittel, um dieser Welt zu entkommen. Sein erster Film Eine schwedische Liebesgeschichte aus dem Jahr 1970 wurde zu einem riesengroßen Erfolg. Sein zweiter Film Giliap (1970) war ein so großes Publikums- und Kritikerfiasko, dass Andersson zwanzig Jahre lang keine Spielfilme mehr drehte. Stattdessen produzierte er Werbefilmen, die fast alle im Studio entstanden, ohne Schnitt und Kamerabewegungen. Als er mit dem Film Songs from the SecondFloor (2000) zum Kino zurückkehrte, behielt er diesen persönlichen Stil bei. Der Film bildete eine Trilogie über das menschliche Wesen (schwedisch: „Du levande-trilogin“), die auch aus: Das jüngste Gewitter (2007) und aus Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach (2014) bestand. Für Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach gewann Andersson bei dem Filmfestival von Venedig den Goldener Löwe, sein bis dahin größter Erfolg. Alle Filme hat er kunstvoll in seinem Studio in Stockholm gebaut. Was erklärt, warum die Filme mit so vielen Jahren Pause erschienen. Über die Unendlichkeit ist seine erste Film nach der vollendigten Trilogie. Im vorigen Jahr wurde Roy Andersson mit dem Silberlöwen für beste Regie vom Venediger Filmfestival ausgezeichnet. Der Film sollte im Frühjahr in die Kinos kommen, aber wegen des Coronaviruses wurde er verschoben. Jetzt im Herbst ist der Film erschienen.


Mit 70 Minuten ist er seine kürzester Film und als alleinstehende Film ist Über die Unendlichhkeit eine ausgezeichnete Einführung in die Filmwelt von Roy Andersson. Der neue Film ist ein bisschen schwermütiger geraten als Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach. Die wirkliche Welt ist auch ein bisschen düsterer geworden. Ein Mann mit Dornenkrone auf dem Kopf und schwerem Holzkreuz auf der Schulter wird geschlagen und geprügelt von einem wütenden Mob. „Jesus könnte hier genauso wie damals leben“, scheint Andersson zu sagen. Die Szenen sind klein, aber durch Filmtechnik sehen sie so aus, als ob sie in der Unendlichkeit laufen.Ein Soldat wird von einem Hinrichtungsgruppe erschossen, zwei Eltern besuchen die Grabstätte ihres Sohns, ein Vater hat seine Tochter ermordet wegen seiner Ehre aber ändert seine Meinung nach der Tat. Ein Mann hat Eifersucht auf seinen Schulkamerad, - er hat promoviert, ich habe nichts gemacht. Seine Frau weist ihn darauf hin, dass er sehr viel gemacht hat, er hat die Niagarafälle und den Turm von Pisa gesehen, aber der Neid und die Fixierung auf einen Rivalen sind stärker. Eine andere Szene handelt von einem Mann, „der die Welt erobern wollte“, und sich in einem Bunker versteckt. Dieses Bild von Hitler kommt allerdings vor allem aus einem Gemälde des Sozialistischen Realismus. Ein andere inspiration ist der deutsche Maler Otto Dix, das Bildnis der Journalistin Sylvia von Harden. Aber vor allem lass sich Andersson für diesen Film von dem Künstler Marc Chagall inspirieren. Die zentrale Szene, in der ein Mann und Frau sich umschlingendend über das zerstörte Köln fliegen, basiert auf einem Bild von March Chagal.

„Zuerst wollte ich Dresden nachbauen, aber es war so stark zerstört und die Ruinen so uninteressant“, „in Köln stand immerhin noch der Dom und ich habe mich oft gefragt, ob die Bomber ihn aus historischen Gründen verschont haben. Der Zweite Weltkrieg und der Faschismus haben mich mein ganzes Leben lang umgetrieben, viele meiner Ideen kommen daher“, hat Andersson gesagt.

Trotzdem gibt es immer noch diesen feinen Humor und die absurde Komik und diese Hoffnungsschimmer, ohne die das alles nicht auszuhalten wäre. Es gibt hier auch Lebensfreude: drei tanzende Mädchen tanzen vor einem Ausflugslokal zu einem schwedischen Schlager über drei Mädchen, die vor einem Ausflugslokal zu tanzen. Über die Unendlichkeit handelt davon, was es heißt, ein Mensch zu sein. Das Leben geht zur Neige. Es ist die Wiederkehr des Ewiggleichen, und doch wünschte man, es ginge unendlich so weiter.

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