Ein Erfahrungsbericht vom Leben in Schweden ohne Personnummer
Gestern hatte ich das alte Problem wieder. Ich habe versucht, für unseren Aufenthalt im Sommerhäuschen in Schweden einen gebrauchten Fahrradanhänger auf der allseits beliebten Plattform blocket.se (in Deutschland wäre das Kleinanzeigen.de) zu erstehen. Dabei bekam ich, kaum angemeldet, ziemlich schnell die Mitteilung, dass ab Anfang Juni sämtliche Verifizierung nur noch über die mobile BankID stattfinden wird. Damit bin ich dann wohl raus. Mal wieder.
Es ist wie ein Störgeräusch, das ich seit langem kenne und das sich seit einigen Jahren immer häufiger all unseren Aktivitäten in Schweden in den Weg stellt. Ich kann es nicht mehr hören und muss mich doch immer wieder davon ausbremsen lassen. Personnummer. Folkbokföring. Und eben seit einigen Jahren stetig zunehmend: Mobile BankID. Diese bekommt man nur mit einer Personnummer.
Egal, worum es geht; ob wir für unser Dorf größere Mengen Eis bestellen wollen oder einen neuen Internetanbieter brauchen, weil unser alter Anbieter einfach seine Dienste aufgegeben hat. Die schwedische Handynummer ist genauso auf der Abschussliste wie jegliche Bestellung im Internet. In Schweden ohne Personnummer zu leben war schon immer umständlich. Ständig war man gezwungen, endlose Anrufe in der Warteschleife irgendeines Kundenservices zu verbringen, wenn man nur „mal kurz“ was im Internet bestellen wollte. Seine Post erhalten. Was auch immer. Man kam ganz einfach nicht weiter, ohne die Personnummer einzutragen. Computer says no.
Aber meistens ließ es sich irgendwie lösen. Sobald man mit jemandem sprach, war alles große Freundlichkeit und es wurde schnell eine Nummer für einen erfunden. In all meinen Jahrzehnten in Schweden hatte ich Nummern an der Stockholmer Uni, beim SSSB (Studentenwohnungen), in verschiedenen Bibliotheken, bei verschiedenen Banken, bei verschiedenen Institutionen, die die Verwaltung eines Ferienhäuschens verlangt, und last but not least die Organisationsnummer (samordningsnummer) beim Skatteverket.
Mittlerweile hilft alles nichts mehr ohne die ewige Personnummer. So lange ging es auch ohne, aber immer häufiger rennt man gegen eine Wand. Man fühlt sich ins letzte Jahrtausend versetzt, in Zeiten vor der EU und der Globalisierung, die einen daran gewöhnt haben, dass es nicht mehr so kompliziert sein muss, in einem anderen Land zu leben.
Als wir vor zehn Jahren das Ferienhaus gekauft haben, war es tatsächlich noch einfacher. Seither wird kontinuierlich die Kandare angezogen. Heute ist es die Mobile BankID, die alles bestimmt, ohne große Ausnahmen. Das ist extra unpraktisch, weil man auch nirgends mehr anrufen kann ohne Mobile BankID. Damit haben allerdings sogar ältere SchwedInnen ihre Probleme, die nicht gewöhnt sind, sich mit so kryptischen Dingen wie Identifikation im Internet zu beschäftigen. Ich weiß nicht, ob man darauf spekuliert, dass diese Menschen aussterben. Wenn sie zu allem Übel auf dem Land leben, stehen sie in jedem Fall ziemlich alleine da.
Wahrscheinlich würde uns heute niemand mehr ein Haus verkaufen, oder uns ein dafür notwendiges Bankkonto gestatten. Ich frage mich, wann Strom, Abwasser- und Müllabholung zu Problemen werden.
Mit unserem Problem, einen neuen Internetanbieter zu finden, was konkret bedeutete eine Datenkarte auf uns zu registrieren, blieb uns irgendwann nur noch eins: das „nächste Geschäft“ aufzusuchen. Das „nächste Geschäft“ liegt in unserem Fall 120 km weit weg. Eine Tagestour von 240 km mit drei Kleinkindern, die leider nicht zu Hause bleiben konnten. Diese endete damit, dass der Mitarbeiter im Geschäft für die Registrierung einen Pass verlangte und wir nur einen Ausweis dabei hatten. Es ging nicht ohne Pass. „Das ist doch lächerlich“, platzte ich, „immerhin sind wir in der EU!“ „Dieser Ansicht darfst du gerne sein“, sagt der verunsicherte Mitarbeiter. Ja, dachte ich, dieser Ansicht bin ich tatsächlich; dass wir in der EU sind!
In diesem Kontext war auch das neue Gesetzt interessant, das vor ungefähr anderthalb Jahren in Kraft trat und vorgab, dass alle Prepaid-Karten registriert sein müssen, um deren kriminellen Missbrauch zu verhindern. Die einzige digitale Möglichkeit in Schweden war wieder die Mobile BankID. Ich hatte meine schwedische Nummer seit fünfzehn Jahren und sah mich plötzlich gezwungen, entweder umgehend nach Schweden zu reisen, um mich in einem Laden dort auszuweisen, oder meine Nummer zu verlieren. Eine Freundin mit einer Vollmacht schicken ging nicht. Beim Kundenservice riet man mir, die Nummer auf eine Freundin registrieren zu lassen. Was wohl kaum der Sinn des neuen Gesetzes gewesen sein dürfte!
Das Ende vom Lied war, dass das Problem mediale Aufmerksamkeit erhielt und vipps! Einen Monat später konnte man sich mit seiner Organisationsnummer vom Skatteverket registrieren. Völlig problemlos. Das war doch eine gute Lösung! Wenn sie bloß für Weitere Anlass zum Undenken gegeben hätte!
Schwedische Einwohner/innen haben das Problem ja nicht. Sie tippen brav in jede Vorlage ihre Personnummer ein, verifizieren sich in allerlei Kontexten leichtfüßig mit ihrer mobilen BankID und swishen im Alltag Geld von einem Handy zum anderen. Swish ist nämlich der nächste Segen, der sich nur als Schikane gestaltet: Man erhält in jedem erdenklichen Kontext vom Scheunen-Flomarkt über den Handel gebrauchter Artikel im Netz bis zum Tante-Emma-Café nun immer nur noch eine Telefonnummer und die Bitte, das Geld dorthin zu swishen. Super einfach, wenn man es kann. Super umständlich, wenn nicht. Schweden arbeitet hart an der bargeldlosen Gesellschaft und ist sehr stolz darauf. Alternativen für Menschen ohne Mobile BankID werden allerdings kaum geschaffen.
Das Problem ist nicht die schwedische Bereitschaft zu schnellen Fortschritten, die das Leben erleichtern. Das Problem sind die, die auf der Strecke bleiben, wenn man beim schnellen Fortschreiten hinter sich alle Brücken abbrennt. Es geht so schnell, dass man vor einer Existenz als Mensch zweiter Klasse steht. Und ich darf dann wohl froh sein, dass uns das nur während unserer längeren Sommeraufenthalte betrifft. Wie geht es eben jenen Älteren, die sich digital schwer tun? Und nicht zuletzt allen Menschen ohne klaren Status; Geflüchteten, Zeitarbeitern?
De facto hat Schweden, das stets viel auf sich hält, was Gleichberechtigung angeht, hier ein großes Diskriminierungsproblem. Und disqualifiziert sich gleichzeitig vor dem Hintergrund der Frage nach europäischen Lösungen.
Auf blocket ging es übrigens weiter. Der Verkäufer wollte, dass ich ihm das Geld schnell rüber swishe. Als ich sagte, das könne ich nicht und ihn um eine Bankverbindung bat, brach eine Grundsatzdiskussion los, die ich nicht auch noch gebraucht hätte. Eigentlich wollte ich doch nur einen Fahrradanhänger kaufen.
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