von Susanne Concha Emmrich
Unsere Welt ist noch im Erdölgeschäft, doch alle wissen, dass es ein sterbendes Geschäft ist. Es fällt uns schwer, Zeuge einer grossen Abwicklung zu sein. Ein Blick zurück auf den Beginn und die Entwicklung eines Unternehmens oder Industriezweigs lehrt allerdings Wichtiges. Zum einen “alles hat seine Zeit” und zum anderen ein Wissen um die gewaltige Energie des Unternehmertums hin zum Erfolg, eine Energie die uns heute auf erfolgreiche Anstrengungen in weitaus existenzielleren Bereichen hoffen lässt.
Der schwedische Slawist und Autor Bengt Jangfeldt hat ein imposantes Werk über die Nobel-Dynastie verfasst - “Immanuel Nobel & Söner”, mit dem Untertitel in Deutsch etwa “Schwedische Genies im Russland der Zaren”. Über 480 Seiten im fast A4-Format, schöne angemessene Gestaltung und feine, faszinierende Fotos.
Jangfeldt hat über sein enormes Russlandwissen hinaus auch bisher unerforschtes Archivmaterial ausgewertet, und das Centrum för Näringslivshistoria (Unternehmensgeschichte) in Stockholm, das die Nachlässe bzw. Archive vieler schwedischer Unternehmen und Firmen verwaltet, stand für die Initiative zum Projekt und die Herstellung des Buches.
Drei Generationen Nobel führt der Autor kenntnisreich und ausführlich vor: Immanuel Nobel (1801-1872) als Universalgenie und Gründervater, der mit Dampfmaschinen und Seeminen seine Geschäfte mit dem Russland der Zaren begann; der Sohn Ludvig setzte die Entwicklung der Maschinenbaufabrik in Petersburg erfolgreich fort; der Sohn Robert gründete Branobel (Gebrüder Nobel), eines der grössten Erdölunternehmen der Welt, mit Förderung in Baku am Kaspischen Meer, ihm zur Seite der Bruder Alfred in Paris; Ludvigs Sohn Emanuel entwickelte das Familienimperium zu einem der mächtigsten Russlands. Im Jahr 1918 war Branobel das am höchsten bewertete Unternehmen des Landes und die Familie eine der reichsten. Nach dem Umsturz durch die Bolschewiken floh die Familie nach Schweden (mehrere Jahre noch konnte Edla Nobel im Sommer nach Kirjola fahren, dem Sommersitz der Nobelfamilie auf der Karelischen Landenge nordwestlich von Petersburg). Da das Unternehmen russisch war, kam eine Klage auf Entschädigung für die Enteignung bzw. Verstaatlichung nach 1917 dem Autor nach nie in Frage.
Neben der starken Förderung der schwedischen Industrie aufgrund der vielseitigen Nobelschen Wirtschaftstätigkeit in Russland - der erste Öltanker der Welt wurde 1878 in Motala gebaut - verlangte die Erdölförderung in Baku und der Öltransport über die Wolga, später Ostsee und Schwarzes Meer noch einmal ganz andere Dimensionen, was Risiko und Management, Logistik, Weltmarkt und Konkurrenz betraf.
Eindruck auf den LeserIn macht ebenfalls das soziale Engagement der schwedisch-russischen Unternehmer für ihre Arbeiter in Baku und in Sankt Petersburg: Arbeiterwohnungen, Bibliothek, Volkshaus u.a.m. Im Gegensatz zu Westeuropa war das eine Neuerung in Russland; dem Autor zufolge liessen sich die Nobels bei Krupp in Essen inspirieren.
Als Alfred Nobel 1896 starb, betrug sein eigenes Vermögen umgerechnet auf heute etwa 2 Millarden schwedische Kronen. Das testamentarische Vermögen für die Nobelpreise stammte zu einem grossen Teil aus den Gewinnen und Aktien von Branobel. Ein wahres Testament: die Nobelpreise werden trotz des “Es war einmal” der Erdölindustrie fortbestehen und immer an das glänzende Kapitel schwedisch-russischer Wirtschaftsgeschichte erinnern…
Ein Buchschatz - zum Selberlesen und zum Verschenken!
* Ludvig Nobel an den Bruder Robert, 1864
(Post scriptum: Für uns Deutsche ist der einstige Ölhafen Zarizyn weitgehend unbekannt, wohlbekannt dagegen als Stalingrad. Hitler soll im April 1942 gesagt haben: „Wenn wir das Öl von Baku nicht bekommen, ist der Krieg verloren“. Zum Jahreswechsel 1942/1943 fanden meine drei Onkel väterlicherseits - Otto, Ernst und Fritz - ihr Ende in der russischen Erde, dort bei Stalingrad…. )
Bengt Jangfeldt, Immanuel Nobel & Söner. Svenska snillen i tsarernas Ryssland. Stockholm: Albert Bonniers Förlag 2020 (ISBN 9789100185770)
(Es gibt inzwischen auch eine russische Ausgabe vom Verlag Bombora; Übersetzungen ins Finnische und ins Englische sind in Arbeit.)
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