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Anna Hansson

Britta Marakatt Labba und die Ästhetik der Langsamkeit

Aktualisiert: 27. Juni

Britta Marakatt ist eine der führenden samischen Künstlerinnen Schwedens. Spätestens seit 2017 ist sie auch eine international anerkannte Künstlerin, nachdem sie an der Documenta 14 teilgenommen hat.  


Foto: Elisabeth Ohlson Wallin

Labba wurde im Herbst im Jahr 1951 während der Wanderung der Rentiere von Norwegen nach Schweden geboren. Im Sommer weideten die Rentiere in Norwegen und im Winter in Schweden und mussten dazwischen versetzt werden. “Ich bin ein Grenzfall”, sagt sie scherzhaft, weil sie fast auf der Grenze geboren wurde. Sie war die Letzte ihrer Familie, die in einer Kote geboren wurde. Ihr Vater schlachtete ein Rentier, um die Geburt des neuen Familienmitglieds zu feiern.  


Britta Marakatt Labbas Muttersprache ist Nordsamisch, als Kind sprach sie auch Norwegisch und Meänkieli (ein finnischer Dialekt, der im Tal “Tornedalen” an der schwedisch-finnischen Grenze gesprochen wird). Schwedisch war ihre vierte Sprache, die sie erst in der Schule lernte. Genauso wie viele andere Kinder der Samen musste sie die Geborgenheit ihres Zuhauses verlassen und in eine der Nomadenschulen gehen, die eine fremde Umgebung für sie war.  


Die Schüler wohnten dort in einem Internat, 20 Kilometern von ihrem Zuhause entfernt. Wenn sie nach Hause fahren wollte, konnte sie manchmal mit dem Schulbus fahren, aber eigentlich war der Bus nur für die nicht einheimischen Schüler der Volksschule gedacht. Wenn Britta Marakatt Labba und ihr Freunden trotzdem mitfahren durften, mussten sie nicht nur bezahlen, sondern auch Schimpfwörter, Schläge und Tritte ertragen. Sie erzählt, dass sie während ihrer Kindheit und Jugend viele Beleidigungen und Verletzungen erhalten hat. Der Ausdruck “Lappjävel”(Lappteufel) wurde häufig benutzt, um die Samen zu beschimpfen, und auch heute passiert ihr das noch.  


Das Wort “Lapp” wurde früher als Synonym für Same oder Samin verwendet und stammt wahrscheinlich von dem finnischen Wort “Lappalainen”, was “Person aus Lapp-land” bedeutet. Die Region Lappland erstreckt sich über Schweden, Norwegen, Finnland und Russland und deckt sich teilweise mit dem samischen Siedlungsgebiet. Lappland ist auch der Name der nördlichsten und größten Landschaft Schwedens. folglich hat “Lappland” mehrere Bedeutungen, und heutzutage wird das Wort “Lapp” als abwertend angesehen. 


Im Haus ihrer Kindheit gab es keine Bücher und kein Zeichenmaterial. Sie und ihre Geschwister zeichneten gern und bekamen, wenn möglich, gebrauchten Tortenkartons, auf denen sie zeichnen konnten. Früh hat das Interesse an Kunst und Zeichnung sich bei Britta Marakatt Labba entwickelt, auch durch die mythologischen Geschichten ihrer Mutter. Am

Heiligabend 1956, als Britta Marakatt Labba fünf Jahre alt war, ist ihr Vater bei einem Unfall gestorben. Der Tod ihres Vaters beeinflusste ihre Entscheidung, bildende Künstlerin zu werden. Ihre Stickerei wurde zu einer Art und Weise, Trauer, Sehnsucht und Verlust aus-zudrücken. Visuelles Erzählen ist ihre Methode, Fragen zu stellen und Antworten auf existenzielle Gedanken zu finden. So hat sie den Tod ihres Vaters durch ihre visuelle Kunst verarbeitet - in ihren Werken kann man Engel fliegen sehen und Vögel, die zu Engeln werden. 


 

Kunstschule und Aktivismus  


Als sie 22 Jahre alt war, hat sie ihre erste Kunstausbildung in einer Volkshochschule absolviert, danach hat sie weiter an der Hochschule für Kunst und Design in Göteborg studiert. Sie war die erste Samin (und Same), die dort studierte, und wurde als exotisches Element angesehen. Da alle anderen Schüler aus Familien mit intellektuellem Hintergrund kamen, fühlte sie sich wie ein Außenseiter und der kulturelle Konflikt zwischen ihrem samischen Hintergrund und der schwedischen Mehrheitsgesellschaft wurde offensichtlich. Dort entschied sie sich, alle Materialen, die zur Verfügung standen, auszuprobieren, fand ihre Ausdrucksweise und entwickelte ihre eigene Art von erzählenden gestickten Bildern. Die Themen ihrer Werke handeln vom Leben der Samen und der kargen Landschaft des Nordens. 


Nach der Hochschule schloss sie sich mit anderen samischen Künstlern in Norwegen zu einem Künstlerkollektiv zusammen. Später, im Jahr 1979 gründeten sie den "Samischen Künstlerbund” und suchten aktiv das Ausland, um ihre Kunst dort zu präsentieren. In dieser Zeit hat sie auch ein politisches Bewusstsein entwickelt und stand im Mittelpunkt des Alta-Konflikts. Der Konflikt, der bereits 1968 begonnen hatte, drehte sich um den Aus-bau der Wasserkraft; der Staat wollte in dem Gebiet der Samen einen Stausee anlegen. 600 Polizisten wurde dorthin geschickt, um die Demonstranten und Aktivisten zu vertreiben.  


Diese Erfahrung führte zu ihrem Werk “Garjját” auf Samisch, “Kråkorna” auf Schwedisch (die Krähen) von 1981, für das sie viel Aufmerksamkeit erhielt. In dem Werk verwandeln sich fliegende Krähen in norwegische Polizisten in Uniformen aus den siebziger Jahren, die ausrücken, um eine friedliche Demonstration von Menschen in samischer Festtagstracht aufzulösen, die vor einer Kote sitzen. Die Symbolik der Krähen stammt aus einer Geschichte, die ihre Mutter ihr als Kind erzählt hat - die Krähen symbolisieren in der samischen Mythologie die Autorität. Sie schrecken vor nichts zurück, um alles zu erbeuten, was ihnen in die Quere kommt. Sie sind auch ein Zeichen für Unglück oder Gefahr. 


 

Documenta 14 


Britta Marakatt Labba wurde zu einer der weltweit bedeutendsten Ausstellungen, die “Documenta 14”, in Kassel im Jahr 2017 eingeladen. Dort zeigte sie ihr 24 Meter langes Textilkunstwerk “Historjá” (Geschichte) mit Motiven aus der samische Geschichte. Dies rief ein großes Echo in der internationalen Kunstwelt hervor. Heute ist ihre Textilkunst in der ganzen Welt gefragt. Sie hat für ihre Kunst und ihr künstlerisches Schaffen zahlreiche Auszeichnungen und Kulturpreise erhalten. Der schwedische Regisseur Thomas Jackson hat Britta Marakatt Labba und das Kunstwerk in dem Dokumentarfilm “Historjá – stygn för Sapmi” porträtiert. Mehr über dem Film können sie hier lesen.


Als Britta Marakatt Labba in den 1970er Jahren mit Textilkunst anfing, waren viele Leute skeptisch, Stickerei und sticken hatte keinen hohen Status, aber sie ist bei ihrer Wahl der Kunstform geblieben. Sie verspürt keinen Stress - keinen Stress, um die Welt zu reisen, um Ihre Textilkunst zu zeigen, und keinen Stress beim Sticken. Ein Bild zu sticken ist eine unbekannte Reise ohne Stress. Das Bild entwickelt sich auf dem Leinen, ohne dass sie weiß, wie das fertige Bild aussehen wird – das ist “die Ästhetik der Langsamkeit", wie Britta Marakatt Labba sagt. 

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